Wie fair ist Berlin wirklich?
Diese Frage stand im Zentrum unserer Fachkonferenz am 20.11. – über 60 Teilnehmende aus Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft kamen im Berlin Global Village zusammen für eine kritische Bestandsaufnahme rund um die faire Beschaffung und den Fairen Handel in der Hauptstadt.
Die Veranstaltung hat gezeigt: Berlin hat enormes Potenzial, mutige Pilotprojekte und viel engagierte Expertise. Aber: Der Weg zu konsequenter fairer Beschaffung ist noch nicht zu Ende.
Mit gutem Beispiel voran
Spannende Workshops
Ob Stadtteilfest, Kiezlauf, Picknick oder Tage der offenen Tür: Der Bezirk hat in seiner Rolle als Veranstalter verschiedene Handlungsspielräume, wie er den Fairen Handel konkret einbringen kann. Der Workshop stellte praxiserprobte Formate vor und bot Orientierungshilfen zur Umsetzung. Key Take-aways waren:
1. Faire & nachhaltige Elemente, wie der Kiez- Korb, lassen sich leicht in Veranstaltungen integrieren und liefern gute Inspiration für andere Projekte.
Der Kiez-Korb zeigt, dass bereits kleine, praktische Angebote Menschen für den Fairen Handel sensibilisieren können. Er eignet sich als konkretes Beispiel dafür, wie Bezirke mit einfachen Mitteln nachhaltige Alternativen schaffen, dadurch den Fairen Handel sichtbarer machen und zur Nachahmung anregen.
2. Unternehmen und lokale Akteur*innen haben großes Interesse, sich an nachhaltigen öffentlichen Veranstaltungen zu beteiligen.
Der Workshop hat gezeigt, dass viele Partner*innen Interesse haben an nachhaltigen Formaten mitzuwirken, aber oft nicht wissen, wie die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen wie Weihnachtsmärkten oder Straßenfesten organisiert wird. Im Workshop haben wir über mögliche Zugänge und Abläufe gesprochen.
3. Veranstaltungen eignen sich super, um Bewusstsein zu schaffen und können gezielt als Sensibilisierungsräume genutzt werden.
Ob Stadtradeln, Picknickkorb oder Leitfaden: Veranstaltungen sind eine gute Gelegenheit, Menschen für fairen und nachhaltigen Konsum zu erreichen. Sie schaffen bei Akteur*innen, Bürger*innen und Verwaltungsmitarbeitenden ein Bewusstsein für faire und nachhaltige Alternativen und ermöglichen damit Bottom-up-Engagement.
Mit Jane Krüger (Bezirksamt Reinickendorf), Christina Kockerols (Kompetenzstelle Faire Beschaffung Berlin)
Im Workshop 2 wurde das Sammelbestellverfahren (SBV) für öffentliche Dienststellen in Berlin gestellt sowie gezeigt, wie fair Dienstkleidung im SBV Berlin bereits ist. Im letzten Rahmenvertrag des Landesverwaltungsamtes wurden gemäß Produktblatt Textilien, welches seit November 2023 für alle Dienststellen, die über 10.000 € ausschreiben verpflichtend anzuwenden ist, von Bietenden explizit Nachweise für die Einhaltung fairer Kriterien eingefordert. Verpflichtend mussten Bietende nachweisen, dass auf der Lieferkettenstufe Konfektionierung die ILO-Kernarbeitsnormen eingehalten werden. Im Workshop wurden die verschiedenen Nachweise vorgestellt. Sie reichen von Fairtrade für Laborkittel über GOTS für Socken oder Berufsbekleidung wie beispielsweise Arbeitsjacken oder Bundhosen, Grüner Knopf für Kälteschutzkleidung, Warnschutzjacken oder -hosen, Ökotex STeP für Warnschutzwesten oder Schnittschutzkleidung bis hin zu FairWear Leader für Windbreaker.
Christian Gansow von gansow-Arbeitssicherheit Fachgroßhandel, der den Zuschlag für den – vorerst einjährigen – Rahmenvertrag erhielt, gab im Workshop Einblicke in das Angebot zur Beschaffung von Artikeln aus dem Bereich Arbeitssicherheit des Sammelbestellverfahrens. Er berichtete unter anderem von den Hürden bei der Einforderung von Nachweisen und neuen Lieferanten, die für den Rahmenvertrag gefunden werden mussten, um die Anforderungen zu erfüllen. Er machte aber auch deutlich, wie wichtig es ist, dass öffentliche Stellen die Ware über das Sammelbestellverfahren beziehen. Denn faire Arbeitsschutzkleidung braucht auch Abnehmende, um ein Zeichen für Nachhaltigkeit zu setzen. Eine Verpflichtung über das SBV Dienstkleidung zu beziehen gibt es in Berlin nicht und nur wenn es genügend Abnehmende für die Ware gibt, bleiben Artikel weiterhin darüber bestellbar.
Mit Juliane Kühnrich (Kompetenzstelle Faire Beschaffung Berlin), Christian Gansow (gansow-Arbeitssicherheit Fachgroßhandel)
Lokale Unternehmen mit einer fairen Wirtschaftspraxis sind Vorreiter und Leuchttürme zugleich. Sie repräsentieren den Fairen Handel als ein innovatives, zukunftsorientiertes Wirtschaftsmodell. Wirtschaftsförderungen können die Rolle von Multiplikator:innen einnehmen, sei es beim Standortmarketing oder der Unterstützung des Einzelhandels. Der Workshop diente dem Erfahrungsaustausch, Wissenstransfer und der Vernetzung zwischen Wirtschaftsförderungen und Berliner Unternehmen.
Beyza Ekrek von der Wirtschaftsförderung des Fairtrade Bezirks Tempelhof-Schöneberg stellte vor, welche Rolle der Faire Handel in ihrer Arbeit spielt. Anstrengungen, um die nachhaltigen Unternehmen im Bezirk zu unterstützen, werden mit Veranstaltungen wie dem Green Buddy Award, einem fairen Kiezlauf oder fairen Unternehmer*innen-Frühstücken unternommen. Die Unternehmensperspektive brachte Anna Schieber, Geschäftsführerin des Berliner Fair-Fashion Stores UVR Berlin GmbH mit ein. Sie berichtete von den Herausforderungen im Einzelhandel und der Extrameile, die nachhaltige Händler*innen gehen sowie von Unterstützungsbedarfen, die sich daraus ergeben.
In diesem Workshop ging es um das Pilotprojekt der ersten Berliner Einkaufsgemeinschaft im Sport. Gemeinsam mit der Agentur better nice cool, die für die Auswahl und Konzeption der nachhaltigen Merchandise-Artikel zuständig ist und einem teilnehmenden Sportverein wurden die Gelingensfaktoren für eine Zusammenarbeit abseits des Spielfeldes skizziert. Obwohl Sportvereine ähnlich wie andere Fair-Handels-Akteur*nnen in vielerlei Hinsicht konkurrieren, entsteht bei der Ressourcenteilung im Einkauf eine Coopetition. Die Geschäftsstrategie, die gleichermaßen Kooperation und Wettbewerb zwischen zwei oder mehr Organisationen beinhaltet, wurde als mögliches Zukunftsmodell auch über die Sportbranche hinweg diskutiert.
Mit: Anne Toppius (better nice cool), Anton Klischewski (Aktionsbündnis Fairer Handel Berlin)
Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren Berlins. Erste Hotels zeigen bereits, wie sich faire Handelspraktiken erfolgreich umsetzen lassen – etwa beim Frühstück, in der Ausstattung oder bei Souvenirs. Im Workshop diskutierten wir, wie diese Ansätze gestärkt und in die Breite getragen werden können und welche Rolle Zertifizierungen dabei spielen. Gemeinsam haben wir auch einen Blick auf die Gästeperspektive gerichtet: Welche Erwartungen haben Reisende, und sind sie bereit, für Fairness mehr zu bezahlen?
Mit: Florian Hermanns (GreenSign Institut GmbH) und Jannick Boehme (Wilmina Hotel Berlin)
Lebhafte Diskussion
In der Fishbowl-Diskussion diskutierten Juliane Thiele, Olga Graf und Michael Jopp anhand von Beispielen wie Labor Tempelhof, Markthalle Neun und der EURO 2024, wie Best Practice zum Standard werden kann.
Bei Großveranstaltungen – sei es in der Konzert- oder Sportbranche ist eine gute Datengrundlage mit konkreten Wirkungskriterien zentral, da die gemachten Erfahrungswerte als Argumentationshilfe für zukünftige Veranstaltungen dienen.
Eine zentrale Frage war, wie der Faire Handel stärker voran gebracht und faire Beschaffung besser umgesetzt werden kann. Hierzu gehört das Wissen, wie faire Kriterien in öffentlichen Ausschreibungen verankert werden können. Vielen Verwaltungsmitarbeitenden fehlt häufig die Zeit, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen; um so wichtiger ist es, immer wieder durch Schulungen, Veranstaltungen oder im direkten Kontakt in die Verwaltung zu gehen und das Thema bei möglichst vielen Akteur*innen einzubringen.
Berlin hat eine lebendige Fair-Handels-Community und wegweisende Projekte – doch für eine konsequent faire Beschaffung und nachhaltiges Wirtschaften braucht es weitere Beratung, Sensibilisierung und starke Vernetzung. Wir bleiben dran, denn: Faire Handelspraxis ist nicht verhandelbar.
Alle Fotos findet ihr bei Flickr. Die Bilder können gerne im Rahmen der Berichterstattung verwendet werden unter Nennung des Fotonachweises (c) Aktionsbündnis Fairer Handel Berlin – Marlene Fulde.
Gut fairpflegt
Abgerundet wurde das Programm mit fairen kulinarischen Beiträgen unserer Bündnisakteur*innen kernvoll, KarmaKollektiv, gebana und conflictfood und der BerlinChoc.