Die Umsetzung des Projekts und deren einzelner Bestandteile war nicht frei von Herausforderungen. Zusammengefasst lassen sich diese in folgende Bereiche aufteilen.
Organisationsstrukturen im Sport
In die Planungen, Vorbereitungen und Umsetzungen des Turnfestes waren viele verschiedene Organisationseinheiten, Gremien und Akteur*innen eingebunden – beispielsweise das eigentliche Organisationskomitee, der DTB, die DTB SG wie auch verschiedenste übergreifende Gremien und (z.T. ehrenamtliche) Arbeitskreise. Dementsprechend waren viele verschiedene Personen zu erreichen und für das Thema mitzunehmen und auch unterschiedliche Interessen und Zuständigkeiten zu berücksichtigen. Für die Entscheidungsfindung und die Prozesse war dies nicht immer hilfreich.
Zeiträume
Die globale Struktur textiler Lieferketten führt zu langen Produktions- und Lieferzeiten, die in Beschaffungsprozessen zwingend berücksichtigt werden müssen. Personal-, Organisations- und Entscheidungsstrukturen von Sportevents sind sich dieser Zeiträume oft nicht bewusst, was zu Planungs- und Umsetzungsproblemen führen kann. Gerade die individuelle Beschaffung nach definierten und umfassenden Nachhaltigkeitskriterien von textilen Produkten in großer Stückzahl benötigt einen ausreichenden Zeitraum. Dieser kann von Entscheidungen des Designs und Logos, Produktdetails bis zur Ausschreibung und Vergabe sowie der Produktions- und Lieferzeit bis zu 6-10 Monaten dauern. Auch im Rahmen des Prozesses für das Turnfest war dies eine große Herausforderung,
Budget & Personal
Budget- und Personalstrukturen für Sportevents werden schon viele Jahre vor dem eigentlichen Event festgelegt und können so nur unzureichend auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren. Nachhaltigkeits-Investitionen finden nur langsam ihren Weg in die Budgets von Großveranstaltungen oder werden nicht als Priorität gesehen. Im Falle des Turnfestes war auch hier kein ausreichendes Budget für die Beschaffung von verantwortungsvollen Produkten vorgesehen.
Nur durch die Unterstützung des GNF – fachlich und v.a. auch finanziell (Förderung der Beschaffung der Volunteers Turnbeutel durch die Deutsche Postcode Lotterie) – stand ausreichend Budget zur Verfügung, um Produkte mit verbindlichen Nachhaltigkeitskriterien beschaffen zu können.
Wissen & Expertise bei Sportartikelherstellern, Entscheidungsträger*innen
Im Laufe des Projekts wurde deutlich, dass in den Strukturen und Teams, die Sportgroßveranstaltungen organisieren, als auch bei den Anbietenden von Sportartikeln, bislang nur begrenztes Wissen zu textilen Lieferketten vorhanden ist. Themen wie Risiken von Menschenrechtsverletzungen in der Produktion oder die ökologischen Herausforderungen verschiedenen Fasern (etwa fossile Kunstfasern oder Baumwolle) sind den Beteiligten kaum bekannt und bewusst. Hinzu kommt, Nachhaltigkeit häufig einseitig betrachtet wird. Meist wird sich vor auf ein einzelnes Kriterium konzentriert – meist ökologische Aspekte wie z.B. die Verwendung recycelter Materialien – während soziale Dimensionen wie faire Arbeitsbedingungen in der Lieferkette kaum Beachtung finden. Dabei ist Nachhaltigkeit immer als Zusammenspiel von ökologischen und sozialen Faktoren zu verstehen. Eine rein ökologische Betrachtung greift zu kurz und verfehlt das Ziel einer ganzheitlich verantwortungsvollen Beschaffung.
Verstärkt wird diese Unklarheit durch das Marketing vieler Hersteller*innen, die mit Schlagworten wie „grün“, „nachhaltig“ oder „Change“ werben, ohne belastbare Zertifizierungen oder Siegel nachweisen zu können. Dieses „Labelling“ erschwert es insbesondere Verantwortlichen in Sportstrukturen, fundierte Entscheidungen für eine glaubwürdig nachhaltige Beschaffung zu treffen und zwischen echten Standards und reiner Imagepflege zu unterscheiden.
Durch die intensive Beschäftigung mit dem Thema im Rahmen der Fairnesskampagne und für die Beschaffung der Volunteer-Produkte des Turnfestes, die Unterstützung des GNF und das wiederholte Platzieren des Themas durch die zuständigen Mitarbeitenden des Turnfestes, wurde in den Strukturen des Turnfestes und des DTB ein Prozess angestoßen, der sonst so nicht stattgefunden hätte.
Selbstverpflichtung & Haltung & Priorisierung
Für die Umsetzung von so grundsätzlichen Prinzipien der Nachhaltigkeit und Verantwortung im Sport und für Events braucht es eine klare Selbstverpflichtung und eine deutliche Haltung der Entscheidungsträger*innen. Diese Position müssen klar nach innen und außen vertreten werden und dessen Umsetzung unterstützt und auch eingefordert werden. Es braucht darüber hinaus aber auch daraus resultierende Entscheidungen, damit die Umsetzung erfolgen kann und Budget bereitgestellt wird. In der Praxis ist oft nicht die Frage eines grundsätzlich vorhandenen Budgets, sondern die Setzung von Prioritäten für die Verteilung eines Budgets.
In Bezug auf das Projekt, die Fairnesskampagne und die Umsetzung von Maßnahmen während des Turnfestes hat sich gezeigt, dass es hierbei in der Prioritätensetzung deutliche Unterschiede zwischen dem Veranstaltungsteam und dem Verband gab. Aus dem Turnfest selbst, von dessen Entscheidungsträger*innen und Mitarbeitende wurden die Projektziele und grundsätzliche Werte in Haltung um Umsetzung stark unterstützt. In Bezug auf den DTB war seitens dessen Positionierung oder Priorisierung keine klare Haltung zu bzw. zielgerichtete Unterstützung von verantwortungsvoller Textilbeschaffung – für das Turnfest selbst bzw. in der verbandlichen Arbeit für die Mitglieds-Verbände/-Vereine zu erkennen.
Kommunikation & Öffentlichkeitsarbeit
In der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit rund um das Turnfest wurde deutlich, dass der Herkunft von Sportkleidung bislang nur geringe Bedeutung beigemessen wird. Die Aufmerksamkeit lag vor allem auf klassischen Eventthemen wie inhaltlichem Programm, sportlichen Leistungen, Organisation oder Logistik. Eine gezielte und stärker auf den Wert der Fairness im Sport abgestimmte Kommunikationsstrategie hätte hier großes Potenzial, das Thema nachhaltiger Textilien wirkungsvoll mit den Grundwerten des Sports zu verknüpfen und dadurch mehr Relevanz zu erzeugen vermocht. Diese Option wurde vom Event selbst als auch vom Verband nicht genutzt.
Eine zentrale Herausforderung – besonders für den Ideenwettbewerb – bestand darin, die Menschen in den Sportvereinen direkt zu erreichen. Die deutschlandweiten Sportstrukturen sind stark hierarchisch organisiert, mit vielen Ebenen, Gremien und Organisationen, sodass Informationen oft gefiltert werden und nur verzögert oder abgeschwächt an der Basis ankommen. Hinzu kommt, dass die Arbeit in den Vereinen stark vom Ehrenamt geprägt ist: Engagierte sind häufig überlastet, stark auf ihren unmittelbaren Aufgabenbereich fokussiert und haben nur begrenzte Kapazitäten oder Bereitschaft, sich mit zusätzlichen Themen zu befassen. Erst durch wiederholte Ansprache über verschiedene Kanäle und den gezielten Einsatz von Multiplikator*innen konnten wir diese Zielgruppen erreichen – allerdings mit erheblichem Aufwand.
Diese Erfahrungen zeigen, dass Kommunikation zu nachhaltigen Textilien im Sport gezielt an die Wertewelt des Sports insbesondere an den Fairnessgedanken anknüpfen sollte, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und Relevanz herzustellen. Gleichzeitig erfordert es eine klare Strategie, um die komplexen Strukturen des organisierten Sports zu durchdringen und Engagierte im Ehrenamt nicht zu überfordern. Für zukünftige Projekte bedeutet dies: Inhalte müssen niedrigschwellig, klar verständlich und direkt anschlussfähig an die Praxis im Vereinsalltag vermittelt werden, unterstützt durch die Positionierung der entsprechenden Verbände, Multiplikator*innen und wiederholte Kommunikation über mehrere Ebenen hinweg. Nur so lassen sich nachhaltige Impulse dauerhaft bis in die Vereinsbasis tragen.