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Interview mit dem Supermarché Fair Fashion Store

  • 24. April 2020

Interview mit Nicole Jäckle (re.), eine*r der beiden Gründerinnen des Supermarché Fair Fashion Stores – dem größten Laden für faire Kleidung in Berlin.


Die wichtigste Frage zuerst: Wie geht es Euch? Ihr seid ein kleiner-feiner Laden in Berlin-Kreuzberg, der faire Mode verkauft und natürlich sehr stark von den Corona-Auswirkungen betroffen ist.

Nicole Jäckle: Die aktuelle Situation ist schon recht hart für uns, da wir unseren Laden im März von einem Tag auf den anderen schließen mussten. 90% der Einnahmen sind damit schlagartig weggebrochen, Fixkosten wie Mieten, Versicherungen, Nebenkosten, Verträge etc. laufen aber weiter.

Derweil ist unser Laden prall gefüllt mit der neuen Sommerware, die wir bereits bezahlt haben, aber nicht verkaufen können. Unsere 7 Mitarbeiter*innen sind in Kurzarbeit, was auch für uns sehr unschön ist, da wir wissen, dass sie dadurch viel zu wenig Geld bekommen. Die größte Herausforderung für uns ist, die Sorgen, dass unser Laden die Krise nicht überstehen könnte, nicht übermäßig werden zu lassen.

Welche (Zwischen-)Lösungen habt Ihr in dieser Zeit gefunden? Welche Ideen hattet Ihr und was hat funktioniert?

Wir haben auf Hochtouren gearbeitet und einen Onlineshop auf die Beine gestellt. Kund*innen können nun bei uns online einkaufen und Gutscheine bestellen, die sie einlösen können, wenn sie in den Laden kommen. Die viele Arbeit bis tief in die Nacht war zwar anstrengend, lenkte aber auch ab.

Und die vielen positiven Rückmeldungen und netten Worte von Kund*innen haben auch sehr geholfen! Wir erleben gerade sehr viel Solidarität und können es also nur empfehlen, sich die Mühe zu machen, das Sortiment online anzubieten und Gutscheine auszugeben. Jeder Ort hat seine Fans, die ihn lieben.

Aktuell habt Ihr ja wieder geöffnet, weil ein paar Corona-Maßnahmen für den Einzelhandel gelockert wurden. Freut Ihr Euch?

Klar freuen wir uns! Aber ein bisschen sehen wir das Ganze auch mit Sorge, oder sagen wir mit Unsicherheit. Zum einen bin ich persönlich unsicher, ob es für diese Lockerungen nicht zu früh ist und ob sie wieder zu einem Ansteigen der Infektionen führen und dann wieder zu einem Lock Down.

Zum anderen wird bei uns alles anders sein als davor. Wir werden mit Einlasskontrollen und vielen Sicherheitsvorkehrungen arbeiten müssen und ich kann mir noch nicht wirklich vorstellen, wie das wird. Bisher ging es bei uns eher lustig zu und nicht „kontrolliert“. Bei uns kommen oft Familien mit Mama, Oma, Opa, Kindern und es ist dann mächtig was los, es wird anprobiert und gelacht. Mit den neuen Regelungen ist der Laden mit einer Familie voll, alle müssen Abstand halten und sind vielleicht distanziert. Aber das müssen wir alle wohl noch üben, egal wo.

Und natürlich wird das dann auch wirtschaftlich nicht so leicht, wenn wir nur eine bestimmte Anzahl von Leuten einlassen dürfen oder vielleicht auch niemand kommt, aus Angst oder wegen einer möglichen Rezession.

(alle Fotos: © Supermarché Fair Fashion Store)


Gab es auch Unterstützung von staatlicher Seite?

Ben und ich bekommen als Inhaber*innen kein Kurzarbeitsgeld. Wir leben jetzt von unseren persönlichen Rücklagen. Die Vermieter unseres Ladens und der Büros haben sich bereit erklärt, dass wir in den Monaten der Schließung nur sehr wenig Miete zahlen und diese dann in den nächste Monaten in Raten abbezahlen können. Das nimmt schon viel Druck weg.

Und zum Glück haben wir vom Berliner Senat/der IBB – absolut unbürokratisch und sehr schnell – eine Soforthilfe für kleine Unternehmen bekommen. Das ist eine große Erleichterung und dafür sind wir wirklich sehr dankbar. Da war Berlin mal richtig schnell und cool.

In anderen Ländern sieht die Situation ganz anders aus. Seid Ihr im Kontakt mit Euren Fair-Handels-Partner*innen vor Ort? Wie ist die Situation?

Die Marken, von denen wir unsere Ware beziehen, sind, soweit wir wissen, in Kontakt mit ihren Produzent*innen. Tatsächlich werden in vielen Nähereien in Indien oder auch Portugal derzeit vor allem Schutzmasken produziert.

Jyoti-Fair Works, eine befreundete Marke mit eigener indischer Nähwerkstatt lässt ihre Näherinnen z.B. nun von zuhause aus Masken nähen, die hier in Deutschland online gekauft werden, aber in Indien verbleiben. So können die Näherinnen sicher zuhause bleiben, aber dennoch weiter bezahlt werden und produzieren gleichzeitig Masken für ihre Umgebung.

Einen kleinen Teil unserer Ware lassen wir auch selbst produzieren, für unsere Eigenmarke Hirschkind. Hier haben wir den direkten Kontakt zu den Produzent*innen. So hat z.B. unsere Näherei für Shirts, Kiboko in Kenia, ihre Produktion um Mundbedeckungen erweitert. Auch für uns werden derzeit dort welche produziert. Damit kommt die Näherei im Moment ganz gut über die Runden. Wir hoffen natürlich sehr, dass Corona in der Region erfolgreich eingedämmt werden kann. Ein großer Ausbruch dort wäre verheerend.

Aus der Kiboko-Näherei in Kenia

Ihr seid ein sehr engagierter Laden. Ihr habt einen eigenen Blog, betreibt das öko-faire Label Hirschkind und schaut auch über den eigenen Tellerrand hinaus, z.B. mit Eurem Engagement für Geflüchtete im Rahmen der Aktion Seebrücke. Ganz zurecht wurdet Ihr also Anfang des Jahres für die Fairtrade Awards von Fairtrade Deutschland in der Rubrik „Handel/Kleine Unternehmen“ nominiert. Wie ist denn der aktuelle Stand?

Erst mal vielen Dank für die Blumen! Wir haben uns natürlich riesig gefreut, nominiert zu sein, das ist schon eine richtig tolle Auszeichnung.

Und ich freue mich natürlich auch, wenn es nicht immer nur die großen Lebensmittel-Ketten sind, die diesen Preis bekommen, weil sie aufgrund ihrer riesigen Umsätze auch bei einem sehr kleinen Anteil an fair gehandelten Produkten noch viel davon absetzen. Was gut ist für die Produzent*innen, ohne Frage, aber das Engagement dahinter ist natürlich nicht wirklich gegeben. Da hätten vor allem die Weltläden, für die von jeher die Idee des Fairen Handels essentiell war, eine solche Auszeichnung verdient.

Die Entscheidung, ob wir diese Auszeichnung gewinnen, hätte auf der Preisverleihung am 25. März fallen sollen, die natürlich wegen Corona nicht stattfinden konnte. Wir werden also erst im Laufe des Jahres erfahren, ob wir gewonnen haben.

Wie geht es jetzt bei Euch weiter?

Da wir nicht wissen, wie sich alles entwickelt, planen wir erst mal wenig. Unsere Aktionen zur Fashion Revolution Week, also bspw. unsere Teilnahme an der Foto-Aktion Who made my clothes, haben wir ins Netz verlegt.

Unsere Ausstellung zu Kinderrechten wird im Mai bei uns im Schaufenster stattfinden, dann können sie alle Passant*innen von außen anschauen, ohne in den Laden kommen zu müssen. Alles Weitere wird sich zeigen.

Du hast zu Beginn von der großen Solidarität gesprochen, die Euch begegnet und die Eurem Laden auch hilft, besser durch diese Zeit jetzt zu kommen. Ihr gebt diese solidarische Kraft aber auch selbst weiter, bspw. habt Ihr auf Eurem Blog eine lange Liste mit Soli-Tipps veröffentlicht, also mit Möglichkeiten, wo man sich aktuell angesichts von Corona engagieren kann. Wie ist diese Idee entstanden?

Ich fand es einfach so toll, was für super solidarische Projekte schon direkt in den ersten Tagen des Lock Downs entstanden sind. Einerseits waren alle wie erstarrt von der Entwicklung, andererseits haben sich viele Menschen überlegt, wie sie andere unterstützen können und waren dabei unglaublich kreativ.

Ich habe auch an mir selbst gemerkt, dass es mir ganz wichtig war (und auch etwas über die Ängste hinweggeholfen hat), andere zu unterstützen. Und ich freue mich ja auch selber riesig über die Solidarität von anderen. Und genau diese gegenseitige Solidarität, dieses Miteinander, das da entstanden ist, ist etwas ganz Wertvolles, was vielleicht auch nach der Krise Bestand haben könnte.

Die physische Distanz schien die soziale Solidarität wachsen zu lassen und das finde ich toll! Das wollte ich gerne mit anderen teilen und einfach ein paar Tipps geben, was ich an Ideen und Projekten entdeckt habe. +++

(Das Interview wurde im April 2020 geführt.)

Mehr Infos zum Laden: www.supermarche-berlin.de

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