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Was ist eigentlich fair?

(c) runamics

Über ein Wort zwischen Moral, Missverständnissen und dem vorsichtigen Versuch, es richtig zu machen.

Ein Gastbeitrag von Steffen Otten, Co-Founder von runamics, für die Initiative „Fairplay in Berlin“

Wenn über Sportbekleidung gesprochen wird, fällt ein Begriff fast reflexhaft: fair. Wer kann dagegen schon etwas haben? Fair klingt positiv, gut, richtig. Aber was genau bedeutet das eigentlich – faire Sportkleidung? Und wer darf entscheiden, was „fair“ ist?

  • 2. Oktober 2025

Bei runamics beschäftigen wir uns seit unserer Gründung auch mit dieser Frage. Nicht theoretisch, sondern ganz praktisch – etwa bei der Entwicklung von Produkten, wie zuletzt bei einem Projekt, das in Zusammenarbeit mit dem Berliner Fußballverein FC Internationale umgesetzt wurde: „Das Trikot“,. Es ist das weltweit erste Fußballtrikot, das nach Cradle to Cradle Certified® Gold Standards gefertigt wurde – und damit ein möglicher Prototyp für zukunftsfähige Sportbekleidung. Doch der Beitrag, den wir dazu leisten wollen, geht über ein Produkt hinaus: Wir möchten die Debatte um Fairness differenzieren – und vor allem: öffnen.

Fair ist nicht einfach – aber wichtig

Oft wird Fairness im Textilbereich rein sozial verstanden: gerechte Löhne, sichere Arbeitsplätze, keine Ausbeutung. Das ist natürlich zentral – und trotzdem greift es damit meistens zu kurz. Denn Fairness ist ein vielschichtiges Konzept. Es meint nicht nur Gerechtigkeit gegenüber Arbeiter*innen, sondern auch Verantwortung gegenüber der Umwelt. Und es bedeutet, sich von vereinfachenden Narrativen zu verabschieden – gerade im globalen Kontext.

Ein Beispiel: Für unser Trikot-Projekt haben wir uns bewusst für eine Produktion in Portugal entschieden. Warum? Weil wir dort mit den Betrieben im direkten Austausch stehen. Wir konnten persönlich vor Ort sein, die Arbeitsbedingungen selbst erleben, Prozesse gemeinsam entwickeln. Nähe schafft Vertrauen – und ermöglicht eine Zusammenarbeit auf allen Ebenen.

Aber: Unsere Entscheidung gegen eine Produktion in z.B. Asien oder Nordafrika war keine Entscheidung gegen die Menschen in Ländern wie Bangladesch, Indien, Vietnam oder Tunesien. Es war kein moralisches Urteil. Denn das wäre selbst alles andere als fair. Die Vorstellung, dass außerhalb Europas grundsätzlich nur unter ausbeuterischen Bedingungen gearbeitet wird, ist ein eurozentrisches Vorurteil – und einer differenzierten Fairness-Debatte nicht würdig. Es blendet aus, dass es auch in Ländern des Globalen Südens verantwortungsvoll arbeitende Unternehmen gibt. Und es ignoriert, dass auch in Europa Arbeitsrechte unterlaufen werden – teilweise ganz legal.

Pauschalisierung ist nicht fair

In vielen Diskussionen um faire Kleidung schwingt eine gewisse Überheblichkeit mit. Wir im globalen Norden maßen uns an, zu wissen, was für andere richtig ist. Wir projizieren unsere Standards auf Lebensrealitäten, die wir oft nur aus Berichten oder generellen Erzählungen kennen. Oder sogar noch schlimmer: es wird wie eine Grundprämisse diskutiert. Wenn man mit Studierenden spricht, ist es für viele eine regelrechte Selbstverständlichkeit, dass Produktionen in Asien erstmal „unfairer“ gegenüber denen in Europa sind. Dabei ist es egal, ob man mit Studierenden an textilspezialisierten Hochschulen wie der HS Niederrhein, Hof oder Reutlingen spricht oder mit sog. Umweltwissenschaftler*innen, z.B. von der Leuphana Universität aus Lüneburg.

Dabei ist Fairness keine Einbahnstraße. Sie beginnt mit dem Willen zuzuhören. Mit der Anerkennung, dass Menschen ihre eigenen Vorstellungen von gutem Leben, von gerechter Arbeit und von Entwicklung haben.

Und: Fairness heißt auch, auf Augenhöhe zu sprechen – nicht von oben herab. In vielen Ländern des Globalen Südens haben sich über Jahrzehnte hinweg hochqualifizierte Textilindustrien entwickelt, die unseren in Europa in den meisten Belangen mittlerweile massiv überlegen sind. Sie sind nicht nur verlängerte Werkbänke, sondern Kompetenzzentren mit Know-how, Innovation und Stolz auf das, was sie in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut haben. Sie pauschal als Orte der Ausbeutung zu brandmarken, wird weder den Realitäten noch den Menschen gerecht. Es ist paradox: Unter dem Banner der Fairness werden häufig genau jene unsichtbar gemacht, die man eigentlich schützen will.

Ökologie ist keine Fußnote der Fairness

Wenn wir von „fair“ sprechen, müssen wir weiterdenken. Die Umwelt ist keine Kulisse, sie ist Akteurin. Es ist nicht fair, wenn Arbeiter*innen zwar unter korrekten Bedingungen nähen, aber mit Chemikalien hantieren müssen, die ihnen und ihrer Umwelt langfristig schaden. Es ist nicht fair, wenn Materialien nach einmaligem Tragen zu Müll werden – in Ländern, die ohnehin schon am meisten mit den Folgen unseres Überkonsums zu kämpfen haben. Und es ist nicht fair, wenn wir ausgerechnet im Sport – wo Bewegung, Gesundheit und Naturerlebnis eine so große Rolle spielen – Kleidung tragen, die genau diese Werte konterkariert.

Fairness ist also mehrdimensional: ökologisch, sozial, kulturell. Nur wenn wir alle Ebenen zusammendenken, entsteht ein wirklich „nachhaltiges“ Bild.

Mit Das Trikot wollten der FC Internationale und wir genau das sichtbar machen: ein Produkt, das diese Vielschichtigkeit bei den sozialen und den ökologischen Aspekten berücksichtigen kann. Es ist für den technischen Materialkreislauf gedacht (d.h. sortenreines Textilrecycling), kann sich aber auch auf einer Mülldeponie biologisch abbauen. Es enthält keine schadhafte Chemie und es wurde partnerschaftlich mit Betrieben in unserem Umfeld produziert. Die Kosten für das Trikot waren substantiell höher, als bei konventioneller Ware, doch solche Piloten sind wichtig, um die Debatte weiter zu treiben.

Und: Die Sportbekleidung ist hier auch kultureller Ausdruck.

Gerade im Sport hat Kleidung eine große Symbolkraft. Ein Trikot ist mehr als ein funktionales Textil – es ist Identität, Zugehörigkeit, Ausdruck. Umso wichtiger ist es, dass es auch ethisch etwas ausdrückt. „Das Trikot“ von FC Internationale steht für Teamgeist, Diversität – und jetzt auch für ökologische und soziale Verantwortung. Es macht sichtbar, dass Fairness nicht aufgedruckt, sondern eingearbeitet sein muss.

Was wir wirklich brauchen: ehrliche Debatten
Was wäre, wenn wir das Wort „fair“ nicht länger als Label, sondern als Einladung verstehen? Nicht als Werbeversprechen, sondern als Frage: Was ist fair – und für wen? Diese Frage ist unbequem. Sie duldet keine einfachen Antworten. Aber genau das ist ihre Stärke. Sie zwingt uns zum Nachdenken, zum Zuhören, zum Neuverhandeln. Und vielleicht ist das am Ende die fairste Haltung: Nicht alles besser zu wissen – sondern besser wissen zu wollen. Let´s go.
Steffen Otten von runamics
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